50 Jahre Dialyse in Einbeck

Man kann es sich heute gar nicht mehr vorstellen: erst Ende der 1960er Jahre waren Dialyseverfahren und Gefäßzugänge so weit ausgereift, dass nierenkranke Patienten nicht mehr an ihrer Erkrankung sterben mussten, sondern dauerhaft behandelt werden konnten. Die Behandlungen erfolgten ausschließlich an den großen Kliniken oder an Universitätskliniken.

Die Dialysezeiten betrugen damals durchschnittlich 12 Stunden pro Behandlung, die Dialyseplätze in den Kliniken waren stets belegt. Daher konnte ein neuer Patient erst in das Programm aufgenommen werden, wenn ein Platz für ihn frei geworden war. Es gab Wartelisten, die Reihenfolge der zu behandelnden Patienten erfolgte nach verschiedenen Kriterien: nicht älter als 45 Jahre, keine Zweiterkrankung wie z. B. Diabetes sowie stabile psychische und soziale Situation. In den USA sorgten Komitees aus Ärzten, Priestern, Rechtsanwälten und auch Hausfrauen für eine möglichst gerechte Entscheidung, wer einen Dialyseplatz bekommen durfte.

Schnell entstand an den großen Kliniken ein Platzmangel für Dauerdialysepatienten. Daher begann man, Angehörige von Patienten für die Durchführung von Dialyseverfahren zu trainieren – die Dialyse konnte erstmals zu Hause stattfinden. In England hatte man damals bereits gute Erfahrungen mit der „Heimdialyse“ gesammelt. Um rasch Abhilfe zu schaffen, wurden auch einige deutsche Patienten mit Unterstützung der Krankenkassen in England geschult – unter anderem von namhaften Nephrologen wie Stanley Shaldon. Doch nicht alle Angehörigen waren geeignet und oft fehlte es auch an angemessenen Räumlichkeiten.

So entstand die Idee einer ambulanten Dialyse unter ärztlicher Betreuung. Umgesetzt wurde dies in Einbeck erstmals unter Dr. med. Herbert Hartwig, der Ende 1968 eine der wahrscheinlich ersten ambulanten Dialysen Deutschlands plante. Die Universität Göttingen wurde konsultiert. Gesprächspartner war damals Prof. Scheeler, der die Idee für sinnvoll und gut erachtete.

Somit wurde die Dialysestation in der Altendorfer Straße 54A errichtet. Die ärztliche Schulung erfolgte parallel an der Universität mit regelmäßigen nephrologischen Visiten und praktischen Behandlungsschulungen nach jedem Feierabend der damals rein internistischen Praxis. Die für die Dialyse neu eingestellten Mitarbeiter wurden ebenfalls an der Universität geschult. Auch in die Medizintechnik musste investiert werden. Dr. Herbert Hartwig bestellte Geräte des ersten deutschen Dialyseherstellers, die Technikerneu ausgebildet und wiederverwertbare Flachdialysatoren aus England gekauft, da es diese in Deutschland noch nicht gab. Die Dialysatoren (sogenannte Kiils) wurden mit keimfreiem Cellophan bezogen und mit festgelegtem Druck zusammengebaut. Der Aufbau eines funktionsfähigen
Dialysators betrug damals etwa 1 Stunde. Bei der Wasseraufbereitung entschied man sich für die Vollentsalzung. Hierfür mussten Riesentanks mit Salzsäure und Natronlauge vorgesehen und ohne Gefährdung für Mensch und Bauwerk installiert werden.

Neue Probleme ergaben sich mit der behördlichen Genehmigung. Aufgrund der zwölfstündigen Dialysedauer wurde die Behandlung nicht als ambulant eingestuft – die Einbecker Dialyse musste auf dem Verwaltungsweg zu einer „Privatkrankenanstalt“ erhoben werden. Zudem existierten noch keine Abrechnungsziffern für die Dialyse, diese wurden mit der Kassenärztlichen Vereinigung in Hannover ausgehandelt. Hier erwies sich die AOK vor Ort als sehr hilfreich.

Am 1. November 1970 war es dann so weit. Schwestern, Techniker und Dialyseärzte erwarteten voller Zuversicht ihren ersten Patienten. Doch dieser kam nicht. Stattdessen erfolgte ein Anruf: Dr. Herbert Hartwig wurde zu einer „Rücksprache“ in die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) bestellt, durch die eine alleinige Verantwortlichkeit dieser neuen Dialysestation an den Einbecker Arzt zugewiesen wurde. Der erste Patient erschien dann wirklich am darauf folgenden Tag zur Behandlung.

Der Start war geglückt und plötzlich war die Dialysestation in Einbeck ein wichtiger Punkt auf der „nephrologischen Landkarte“. Die Patienten reisten von weit her an, unter anderem aus Hannover, Göttingen, Braunschweig, Celle oder Münster.

Probleme entstanden damals bei der Dialyse infektiöser Patienten, die nicht zur Behandlung in Krankenhäusern mit Dialyseeinheit aufgenommen wurden. So wurde eine Infektionseinheit angebaut, in der auch an Gelbsucht oder Typhus erkrankte Patienten behandelt wurden. 1972 erfolgte dann der Umzug der jetzt angegliederten internistischen Praxis, auch um eine ständige ärztliche Präsenz sicher zu stellen.

Die Patientenzahlen nahmen schnell zu, so dass die Behandlungskapazitäten immer weiter ausgebaut worden. Im Jahr 2000 wurde dann die Zweigpraxis am Northeimer Scharnhorstplatz eröffnet. Heute ist die Arztpraxis Dr. Hartwig & Dr. Stock eine moderne Dialysestation für die Region Südniedersachsen mit sämtlichen Verfahren für Blut- und Bauchfelldialyse sowie Behandlung transplantierter Patienten. Seit 50 Jahren ist das Praxisteam aktuell um die Ärzte Dr. Michael Hartwig, Dr. Johanna Stock und Dr. Enrico Böhning jede Woche von Montag bis Samstag – einschließlich Feiertage wie Ostern und Weihnachten, mit seiner besonderen Expertise für Patienten da.

Langjährige Mitarbeiter, die die Entwicklung der Einbecker Dialysestation über fast über die gesamte Zeit begleitet, ermöglicht und mitgetragen haben:
Ursula Hase (Nach 50 Jahren in 5/20 ausgeschieden),
Bettina Kober (45 Jahre),
Andrea Schulz (35 Jahre)

In Memorandum
Dr. med. Herbert Hartwig (tätig 1966–2002)

Aktuelle Ärzte:
Dr. med. Michael Hartwig (tätig seit 1996)
Dr. med. Johanna Stock (tätig seit 2017)
Dr. med. Enrico Böhning (tätig seit 2020)